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Der Zorn der Götter

Es war der 09. Oktober 2018 und das Wetter an diesem Tag verhieß nicht unbedingt knallige Farben mit einem blauen Meer, das in einen blauen Himmel übergeht. Als nicht dass, was man sich unter Urlaubsfotos von den Balearen eigentlich vorstellt. Ich wollte nur den Leuchtturm sehen. Der Tag war noch jung, als ich auf dem Mietwagen auf der Punta de Capdepera ankam. Ich würde diesen Tag noch eine lange Zeit in diesem Wagen verbringen. Aber das wusste ich jetzt noch nicht.

Als mein Blick über das Meer strich, traf er auf diese dunkle Wolke und mein erster Gedanke war Begeisterung – wenn sie näher käme, würde sie ein tolles Motiv abgeben. Wenn sie näher käme, würde sie aber auch Blitz und Donner mitbringen. Es war nicht viel Zeit für Fotos, denn diese Wolke kam direkt auf diesen Felsvorsprung zu – sie kam direkt auf mich zu. Es waren in der Tat nur wenige Minuten, noch schneller als geschätzt war die Gewitterzelle drauf und dran mich zu überrollen. Ich schmiss die Kamera in den Wagen und fuhr schnell ein paar enge Kurven die Straße in Richtung Cala Rajada zurück um in der Nähe einer Piniengruppe das Wetter abzuwarten. Bis eben war ich einer der höchsten Punkte der Punta de Capdepera gewesen. Unter einem Gewitter möchte man aber kein hoher Punkt sein.

Der Photograph - auf der Punta de Capdepera bin ich nicht der Einzige, der die dramatische Lichtstimmung einfangen will.
Der Photograph – auf der Punta de Capdepera bin ich nicht der Einzige, der die dramatische Lichtstimmung einfangen will.

Die Wolke erfüllte die Erwartung voll und ganz mit Sturmböen, Blitzen alle paar Sekunden und heftigem Niederschlag. Das Zentrum der Gewitterzelle zog jedoch einen geschätzten Kilometer vorbei. Als es querab vorbeigezogen schien und weiter ins Innere der Insel zog, fuhr ich wieder auf das Plateau hinauf, um noch ein paar Bilder vom Leuchtturm in den immer noch vorhandenen, tiefen Wolken zu machen. Der Leuchtturm hatte sich unter der dunklen Wolke mitten am Tag angeschaltet und ergab somit ein interessantes Motiv.

Die Gewitterwolke war so dunkel, dass sich sogar das Licht auf dem Leuchtturm von Capdepera mitten am Tag eingeschaltet hat.

Lange habe ich mich an diesem Motiv nicht probiert. Nur einen ganz kurzen Moment nach dem hellen Licht – noch lange vor dem Moment, an dem mein Körper beginnt zusammen zu zucken – gibt es schon einen lauten Knall. Die Ortung des Geräuschs deckt sich mit Eindruck aus dem Augenwinkel: Dieser Blitz hat den Boden nicht getroffen, sondern hat sich aus der Wolkenunterkante an eine andere Stelle in die Wolke entladen. Nur ist diese Wolkenunterkante gerade verdammt nah. Ein paar Sekunden später zieht mit einer Böe ein Geruch von Ozon in meine Nase.

Ich bin nun um eine Erfahrung in meinem Lebe reicher: Man kann Blitze nicht nur sehen und hören, man kann sie auch riechen – wenn man nur nah genug dran ist.

Ich habe keine Ahnung, wo dieser Blitz plötzlich her kam. Die gesamte Aktivität des Gewitters war bisher auf die Zelle beschränkt, die uns schon tangiert hatte. Es war der einzige Blitz in diesem Bereich und blieb es auch. Ich aber nicht: Mit ruhigen, aber schnellen Schritten ging ich direkt zum Auto, legte die Kamera ab und fuhr los.

Es sollte nicht das einzige Gewitter an diesem Tag bleiben.

In Artá werden Regenschirme angeboten. Heute könnte der ideale Tag sein, die Ware an den Kunden oder die Kundin zu bringen.

Wegen des schlechten Wetters fuhr ich zur Höhle von Artá. Nach dem Besuch der Coves d’Artá kam ich am Abend nach der Ortsdurchfahrt von Artá in ein Unwetter mit Kadenzen von bis zu einem Blitz in jeder Sekunde. Die Fahrt war wegen der Sicht erst noch mit 20 km/h möglich, während neben der Straße Wassermassen die Hänge hinunterlief und schnell die Gräben am Rand der Ma-12 überforderte. Am Abzweig nach Montferrutx und Sa Pere war dann Schluss – die Straße war komplett überflutet. Wenige Autos durchfuhren das Wasser, das bis zu den Scheinwerfern reichte. Ich nicht. Ich wusste nicht, wo der Peugeot Partner seine Verbrennungsluft ansaugt. Mit einem Motorschaden möchte ich nicht im reißenden Wasser enden. Das Wasser war trüb: War die Straße unterspült oder Gullideckel weg geschwommen, in deren Öffnungen man mit einem Rad hängen bleiben kann? Vielleicht bin ich ängstlich, vielleicht verantwortungsvoll – für meine Passagiere im Auto. Wäre ich allein gewesen, ich wäre wohl trotzdem nicht gefahren.

Wenn es einen Weg geben sollte, dann ging es nur zurück über Artá. Bei diesen Verhältnissen war die Bergstraße ein aussichtsloses Unterfangen. Als ein einheimischer Bus sich durch die überflutete Straße gewagt hatte, entschied ich mich ebenfalls für den Weg zurück nach Artá. Vor Artá endete die Fahrt jedoch jedoch an einem Mensch in Warnweste, der mit den Armen wedelnd im Regen Stand. Warum tut man das? Mit dem Rücken stand der Mensch vor einem schwarzen Loch – dort, wo momente zuvor noch die Brücke über den Torrent de Revolts gestanden haben musste. Wo war der Bus geblieben? Während ich darüber nachdenke, kippt eine weitere Straßenlaterne von der Böschung in die reißenden Fluten. In die Bergstraße war er sicher nicht gefahren und entgegen gekommen ist er uns auch nicht noch einmal. Er muss es noch über die Brücke geschafft haben. Ich war keine fünf Minuten hinter ihm.

Am späten Abend sitze ich unter der Veranda des kleinen Häuschens mitten in den Feldern . Das Wasser war nach gute zwei Stunden von der Straße soweit abgelaufen, dass man den Weg über ein wenig Geröll fortsetzten konnte. Der Regen hatte aufgehört.

Ich bin sehr dankbar an diesem Abend. Was war das nur für ein Tag? Es war auf jeden Fall ein guter Tag. Ich habe alle Menschen im Auto sicher nach Hause bekommen. Auf der Punta de Capdepera hatte ich großes Glück. Ich habe heute sehr viel über Respekt vor der Natur gelernt. Und ich habe dieses Bild gemacht, das mich an diesen Tag erinnern wird!

Erst zu Hause habe ich erfahren, dass dieser Tag nicht für alle Menschen in meiner Nähe so gut ausgegangen ist. Auf der anderen Flanke des Gebirges hat das selbe Wettersystem durch den Torrent de sa Blanquera den Ort Sant Llorenç überflutet und verwüstet. Mein tiefes Mitgefühl gilt den Menschen, die Angehörige und Freunde an diesem Tag verloren haben: Mindestens 13 Menschen haben das Unwetter nicht überlebt.

Dieses Bild ist ein Panorama, das aus sechs Aufnahmen im Portrait-Format besteht, welche jeweils bei 24 mm mit dem Canon EF 24-105 mm f/4L bei f/9, 1/400 s und ISO320 an der Canon EOS 5D MR III aufgenommen wurde. Es war am 17. April 2021 auf der Startseite der spanischen Fotocommunity zu sehen:

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