Am 8. Oktober gab es auf der Sonne einen großen Massenauswurf. Das hatte ich mitbekommen und es ging quer durch die Medien. Es war einer von mehreren starken Auswürfen Anfang Oktober. Obwohl nicht der stärkste der Gruppe war er es, der am ehesten auf die Erde ausgerichtet war und sich mit einer außergewöhnlich hohen Geschwindigkeit der Erde näherte. Ob es so etwas wie im Mai noch mal geben würde?
Bereits am Mittwoch hatte ich abends auf die App und gen Himmel geschaut, aber trotz blumiger Versprechungen deckte sich der Blick in den Himmel mit dem Status der App – es gab hier nichts zu sehen.
Jetzt war es der Donnerstag der 10. Oktober. Am Freitag hatte ich frei und wollte in den Herbsturlaub. Ich war dabei, Wohnwagen und Auto zu beladen und schaute vom Kofferraum nebenbei auf in den leicht bewölkten Himmel. Ein merkwürdig roter Schein hing über dem Haus in Richtung Nordost. Die Sonne war schon vor einiger Zeit im Westen untergegangen – letzter Sonnenschein konnte das nicht sein.
Ich nahm mein Telefon, legte es auf dem Autodach auf und bei maximaler Belichtungszeit von nur einer Sekunde zeigte sich deutlich ein riesiger Fleck aus Rot mit ein paar hellen Wolken. Mit dem Auge war nur ein zwar deutlich rot-violetter aber diffuser Schein zu erkennen, ähnlich eines rötlichen Lichtdoms auf einer Wolkenschicht. Das Bild schickte ich sofort einer Freundin.
Mit dem Fischauge habe ich mir ohne weiteren gestalterischen Wert erst mal einen einen Überblick über den Himmel verschafft. Die komplette Fotoausrüstung lag schon fertig gepackt im Auto.
Dieser Eindruck ist es wert, dass man die Urlaubspackerei liegen lässt und spontan fotografieren geht. Das Handy summt:
“Das ist jetzt aber nicht das, wonach es aussieht, oder?”
- WtF!”
“Jetzt. Nordost.”
- “Wooow. Packst Du noch?”
“Gerade fertig”
- “Okay, in 10 min hier treffen?”
Eben ein paar Becher und eine Flasche Wasser eingepackt. Für einen Kaffee in der Thermoskanne reicht die Zeit nicht. Wer weiß, wie lange das Licht an ist?
Schnell noch eine Jacke gegriffen – inzwischen ist es ja Herbst. So einfach die halbe Nacht im T-Shirt unter tanzenden Lichtern auf der Wiese herumhopsen wie im Mai ist jetzt nicht mehr drin.
Motor an und einen Kilometer weiter habe ich die beiden aufgesammelt. Wo wollen wir hin? Erst mal auf den Berg und gucken. Der Berg bei uns ist der Haarstrang, auf dem wir genau so zu dritt auch schon im Mai die Bilder der Aurora aufgenommen hatten. Er ist ein toller Fotostandort: Als letzter oder vorletzter Höhenzug des Sauerlandes hat man einen freien Blick bis weit hinein ins Münsterland. Man schaut von Links nach recht über die Lichter der Städte Dortmund, Lünen, Kamen, Unna, Werne, Werl bis nach Hamm. Wenn man auf Gewitter wartet, sieht man sie von Nordwest hier heranziehen. Ich habe mit meiner jungen, ersten digitalen Spiegelreflex meine ersten Gewitterfotos hier genauso gemacht wie in diesem Mai meine meine allerersten Nordlichtbilder überhaupt.
Das Beste an diesem Berg aber ist: Man ist sehr schnell da. Er ist so nah, dass man zu Fuß hinauf laufen kann.
Dieser, unser Hausberg hat aber auch eine Kehrseite: Es gibt viele Straßen. Ständig leuchtet einem ein Fern- oder Arbeitslicht von irgendeinem Fahrzeug in die Linse. Die vielen Städte am Rand des Ruhrgebiets überziehen uns insgesamt mit einer dichten Glocke aus Streulicht. Dazu meldet der Blick über das Münsterland eine sich zunehmend schließende Wolkendecke. Der Blick auf das Wetterradar meldet die Ankunft einer Wolkenfront mit leichtem Regenkern: Hier werden wir nicht glücklich werden.
Im Norden ist es besser. Die Wolkenkante liegt irgendwo bei Münster. Es ist jetzt kurz vor neun und die große Frage: Wie viel Zeit nehmen wir uns für die Fahrt nach Norden und wie lange bleiben die Lichter am Himmel? Wir fahren auf die A1 und entscheiden uns ganz entschieden – für eine spätere Entscheidung.
Die Kilometer fließen auf den Tacho und draußen fließt der Verkehr nicht so flott, wie ich es gern hätte. Niemand weiß, wie viel Zeit wir haben. In Münster ist klar: Hier ist die Sicht inzwischen genauso schlecht wie daheim auf dem Berg. Wir bleiben auf der linken Spur bis wir bei Greven die Ems erreichen. Wir haben schlicht Angst, dass wir die Polarlichter zeitlich verpassen. An der Ausfahrt rechts ab und den nächstbesten Feldweg links rein. Hätte ich gewusst, dass in nur rund einem Kilometer Entfernung die noch junge Ems fließt, wäre ich weiter gefahren: Fluss heißt auch Abendnebel – und den können wir nicht gebrauchen heute.
Als wir die Stative aufbauen ist es schon fast viertel vor zehn. Die Wolkendecke scheint an einigen Stellen recht hell vom Himmel, der Flughafen Münster-Osnabrück ist nicht weit. Wir haben intuitiv nicht unbedingt den besten Ort der Welt gewählt, um unser Glück zu versuchen.
Immerhin bilden sich kleinere Wolkenlücken und durch diese hindurch ist selbst mit dem Auge das grüne Licht des Sauerstoffs zu erkennen – das rote Licht jedoch entdeckt man zu diesem Zeitpunkt nur auf der Aufnahme. Das Nordlicht hat während unserer Fahrt definitiv an Stärke verloren.
Jetzt heißt es weiter warten, ob das Nordlicht noch einmal zulegt und uns die Wolkendecke nicht doch noch eine größere Lücke schenkt. In der Zwischenzeit mache ich weiter Bilder und schaue mich auch in die anderen Himmelrichtungen um. Anders als im Mai spielt sich heute aber alles im Norden ab. Über uns ist es komplett bedeckt und ich wechsle auf eine längere Brennweite und setze das 40 mm-Pancake an die Kamera. Das kann auch Blende 2,8 und unglaublich viel schärfer und unglaublich klein und leicht. Damit versuche ich mich an einem Panorama.
Das Nordlicht hat nun an Stärke gewonnen, man beachte die halbierte Belichtungszeit bei gleicher Blende und geringerer Empfindlichkeit. Es scheint also noch nicht das Ende der Vorstellung gewesen zu sein. Auf dem Feldweg sieht man nun die Farben deutlich: Das Grün über dem Horizont und die Wolken leuchten rötlich. Mit dem Auge ist es manchmal schwer zu erkennen, wo die Wolken und wo die Lücken sind. Auf den Bildern ist gut zu erkennen, dass der ganze Himmel intensiv rot erstahlt und die Wolken den meisten Teil vor uns verdecken. Mit ergriffenem Blick gen Himmel sieht es aber aus, als wenn ein roter Strahl vom Himmel auf uns herunterzeigt! Ich zweifele keinen Moment daran, dass Menschen in der Vergangenheit bei Nordlichtern sofort an das Wirken göttlicher Wesen glaubten.
Diese für uns so intensiv wahrnehmbare Phase dauert insgesamt vielleicht eine Viertelstunde. Die Nordlichter verschwinden nicht, aber sie werden nun immer schwächer und dazu schiebt sich eine durchgehende Wolkendecke wieder von Westen in die Szenerie.
Gegen 22 Uhr ist die Show fast vorbei und schließlich morgen ja auch noch ein Tag – ein ganz normeler Arbeitstag für meine Freunde und ein langer Reisetag für mich!
Als alle Stative zusammengeschoben sind mache ich noch schnell ein paar Schritte auf den Acker hinaus um die Rundumkamera wieder einsammeln! Ich kenne mich, nicht undenkbar, dass ich diese hier im Dunkel auf dem Feld stehen lassen würde!
Auf dem Rückweg ist die Autobahn leer und das Fazit des Abends: Gut, dass wir losgezogen sind! Hätten wir weiter nach Norden fahren sollen? Vielleicht, aber schnell hätte man dann alles Nordlicht auf der Autobahn verpasst und außer Spritkosten wäre nur Frust geblieben.
Beim nächsten Nordlicht würde ich versuchen, mir vorher ein Motiv für den Vordergrund herauszusuchen und beim ersten Licht dann sofort dort hin zu fahren.
Heute waren wir sehr spontan haben doch ganz unerwartet am Ende noch eine richtige Show geboten bekommen. Geheimnisvoll wie der Blick durchs Schlüsselloch zwar und nicht so irre wie beim ersten Mal im Mai – aber das zu erwarten wäre nun wirklich vermessen!
P.S.: Rund drei Wochen später – nach dem Urlaub – stellt sich heraus, dass die Bilder Rundumkamera samt der meisten Urlaubsbilder einem Defekten Dateisystem der Speicherkarte zum Opfer gefallen sind. Daher gibt es kein Rundumbild und kein Video von diesem Nordlicht. Schade, die Wolken im Zeitraffer hätte vielleicht einen interessanten Anblick abgegeben.