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Schottland – 1. Tag – Mit der Fähre nach Hull

Schottland – jetzt also. Endlich, könnte man sagen. Schon sehr lange steht Schottland auf dieser Liste, die es nur in meinem Kopf gibt: Eine Liste mit Zielen, die ich einmal bereisen möchte. Zumindest seit etwa meinem 6. Lebensjahr steht Schottland. Und das ist nun wirklich inzwischen schon mehr als mein halbes Leben.

Mich treibt die Lust auf eine weite und raue Landschaft. Mich erwartet eine der letzten wilden und wenig berührten Landschaften, die man im westlichen Europa erreichen kann. Dazu ist die ganze Küste gespickt mit schönen Leuchttürmen. Für einen Photographen ein lohnenswertes Fleckchen Erde also.

Die Photo-Ausrüstung ist gepackt und liegt mit all den anderen Dingen im Kofferraum meines Reiseautos. Das Beladen am Vorabend ging schnell: Die Ausrüstungsgegenstände für einen Campingurlaub lagern in Klappkisten, die Ausrüstung ist frisch gewartet und passt weitgehend in einen Fotorucksack.

Inzwischen habe ich eine gewisse Routine beim Packen. Ich brauche nicht länger als etwa zwei Stunden, um alles für einen rund zweiwöchigen Urlaub im erweiterten Kofferraum meiner Renault Clio zu verstauen. Und das alles unterhalb der Fensterlinie, so dass man für die Fahrt immer noch eine prima Sicht nach hinten hat.

Schottland ist ein großes Gebiet. Beim Blick auf die Karte lässt man sich da schnell täuschen: Entfernungen wirken oft kürzer als sie sind. Der Grund ist, dass wir zu sehr an unsere mitteleuropäischen Verhältnisse gewöhnt sind. Hier ist es von einem zum nächsten Ort nie weiter als ein paar Kilometer. Und die Straßen sind meist recht zielgerichtet. Das ist in Schottland oft anders. Ich habe die Tour nicht bis ins letzte Detail geplant, habe aber so etwas wie einen Rahmenplan, was ich sehen wollte. Und mein Gefühl sagte mir: Unter 3500 km komme ich auf keinen Fall hin – und das trotz der Abkürzung per Nachtfähre nach Nordengland.

Meine motorisierte, französische Wanderbüchse war dazu kurz vorher noch einmal zur Wartung: Frisches Öl, neue Sommerreifen, ein neues Radlager und die Werkstatt hatte sogar noch in einer Bremstrommel an der Hinterachse einen abgelösten Bremsbelag gefunden. Der Meister rief mich mit seiner vermeintlich schlechten Nachricht bei der Arbeit an. Dabei war es eigentlich eine gute Nachricht: Schon zwei Mal hatte mich die Clio in den letzten 10 Jahren mit einem verklemmten Hinterrad stehen gelassen. Und wer möchte schon in der nördlichsten schottischen Einöde – so schön sie für das photografische Auge auch sein mag – mit einem verklemmten Hinterrad stehen bleiben? Da die Bremse das einzige Problem war, was meine Clio jemals zum Pannenfall hat werden lassen, seht sie nun arbeitsam und vertrauenswürdig vor mir. „Machen Sie sich keine Sorgen, der macht jetzt keine Probleme mehr“, gab mir der Werkstattmeister beim Verlassen seiner Werkstatt mit auf den Weg. Eigentlich hatte ich keinen Grund gegeben, daran zu zweifeln. Oder sollte ich mir doch Sorgen machen? Schließlich wissen die bei Renault nicht einmal, dass Clios weiblich statt mnnlich sind! Die Franzosen wissen das: “La Clio”! So wie so heißt es “la voiture” und nicht “der Auto”.

Ich habe mich für die Fähre von Rotterdam nach Kingston upon Hull entschieden. Der Grund war einfach und schlicht das bessere Angebot. Ich habe früh gebucht und die von der Autostrecke her kürzere Alternative von Ijmuiden nach Newcastle wäre wesentlich teurer geworden. Die Strecke über Calais-Dover wäre zwar noch deutlich billiger – hin und zurück zusammen, aber dafür noch einmal rund 1000 km weiter! 

Ich lege keinen Wert auf lange Autobahnetappen in England. Ich akzeptiere sie aber, wenn sie die günstigere Alternative sind. Autobahnen sind mautfrei und bei erlaubten 112 km/h ist man dort sehr sparsam unterwegs. Davon abgesehen, dass man links fährt, rechts überholt und nicht schnell fahren darf, sind sie fahrerisch in etwa genauso langweilig wie in Deutschland. Lange Spuren aus – im Vergleich zu Deutschland – sehr grobem Asphalt zum Kilometer fressen. Praktisch, aber nicht schön.

Wer die günstigste Alternative für einen Schottland-Urlaub benötigt, der fährt am besten möglichst lang über Land und möglichst kurz über Wasser – also Überfahrt Calais-Dover oder den Tunnel. Für die Fährüberfahrt kommt man – wenn man gut bucht – schon für rund 40 Euro pro Tour nach England! Das gilt pro Auto mit so vielen Leuten, wie ins Gefährt passen. Dann fährt man aber einen ganzen Tag lang nur Autobahn und muss auch noch um die M25 nördlich um London herum – auch nicht immer ein Spaß.

Ich habe für die Hin- und Rückfahrt, für den Transport des Vehikels und die Übernachtung etwa 200 Euro pro Fahrt bezahlt. Das geht für mich in Ordnung. Dafür spare ich für An- und Abreise etwa fünf Stunden Autofahrt, 30 Euro Diesel und eine Nacht auf dem Campingplatz.

Die Fähre fährt abends ab Rotterdam. Das sind gute 300 km von zu Hause. Um möglichst viel Zeit für Schottland zu haben, verfahre ich wie bereits mehrmals erprobt: Mit dem voll gepackten Vehikel geht es früh morgens zur Arbeit. Inklusive Photoausrüstung stelle ich das Vehikel dort ab und gehe meiner Arbeit nach. Ja, für denjenigen Kriminellen, der weiß, wann ich in den Urlaub fahre und wo ich arbeite, könnte das ein einträgliches Geschäft sein!

Gegen Mittag beende ich meine Arbeit und es geht los! Strahlender Sonnenschein, die Klimaanlage ist an – auf in den Urlaub. Abenteuer Schottland, ich komme!

Gut, wahrscheinlich kein wirkliches Abenteuer – aber es geht nichts über diesen intensiven Moment, in dem man direkt nach der Arbeit den ersten Gang einlegt und seinen Fuß auf das Gaspedal stellt, um fernen Ländern und neuen Eindrücken entgegenzufahren!

Proviant für die Fahrt bis Rotterdam ist bereits an Bord, ich kann also bis zum Fähranleger durchfahren! Das beruhigt mich etwas, erhöht es doch meine Chancen, falls mich etwas auf dem Weg aufhalten könnte.

Der restliche Weg läuft über die A2, A3 und in den Niederlanden dann die A12, A20, A16 und die A15. Fast alles alte Bekannte – und halt Autobahnen: Zu langweilig, um etwas darüber zu schreiben. Nur vielleicht, dass man aufpassen sollte, vor Rotterdam die südliche Autobahn zu bekommen. Der Europoort ist eine Stadt für sich – fast 50 km lang fährt man durch Hafenanlagen und Industrie. Die A20 führt nördlich am Hafen entlang und die A15 südlich. Überall steht “Hafen” ausgeschildert! Verpasst man die richtige Route, hat man bei der A4 noch die Möglichkeit, die Seite des Lek zu wechseln. Wer spät dran ist, hat hier die perfekte Möglichkeit, durch schlechte Navigation seine Fähre zu verpassen! Und dann passiert schnell, was man tunlichst vermeiden sollte: In den Niederlanden zu schnell zu fahren! Da hört der Spaß bei den Niederländern auf – geblitzt wird ab wenigen km/h zu schnell, die Strafen sind drastisch und wer nicht sofort vor Ort zahlt, dem wird das Auto gepfändet. Glücklicherweise ist mir das noch nie passiert, aber ich stelle es mir nicht witzig vor, wenn man eigentlich die Fähre erreichen möchte, um nach Schottland zu fahren. Immerhin habe ich schon Leuten gehört, die mitten in der Nacht mit Bargeld nach Holland gefahren sind um Freunden die Weiterfahrt zu ermöglichen und deren Auto aus dem Würgegriff der niederländischen Staatsmacht frei zu kaufen.

Ich bin früh genug am Kai – aber bevor es auf die Fähre geht, möchte ich noch einmal tanken. In England und Schottland ist Diesel wesentlich teurer – ich nehme noch mal gut 20 Liter mit, die bisher aus dem Tank heraus sind. Dann bin ich mit vollem Tank für die ersten 1000 km Linksverkehr gerüstet. Das ist ein echter Vorteil eines kleinen Diesels! Und das gilt ohne Kanister, denn der wäre gefüllt auf der Fähre verboten!

Man sollte meinen, dass der Sprit hier im Hafen von Rotterdam der Billigste weit und breit ist: Mit drei Großraffinerien in Sichtweite hat meine Clio noch nie so frischen Diesel bekommen! Aber das genaue Gegenteil ist der Fall – an der Autobahn hätte ich nicht teurer tanken können. Das verstehe wer will! 

Letztlich ist es aber immer noch billiger als in Schottland. Der Tank ist voll und ich mache mich auf den Weg zum Anleger. Dort reihe ich mich hinten in die Schlange der wartenden Fahrzeuge ein. Die „Pride of Rotterdam“ steht schon lange bereit und das Einchecken läuft ohne Probleme und recht schnell. Interessant finde ich vor allem, dass man mit dem Auto seitlich in das Schiff hineinfährt – das kenne ich so noch nicht.

Es ist das erste Mal, dass ich mit einer Nachtfähre fahre, wenn man von der Tour mit der Color Line nach Oslo absieht. Aber da musste mein Auto in Kiel bleiben. Die Color Fantasy übernahm seinerzeit den Titel der weltweit größten RoRo-Fähre von genau dieser „Pride of Rotterdam“ hier und deren Schwesterschiff „Pride of Hull“, das nun gerade in Hull an der Pier liegt. Die Schiffe der Color Line sind vom Ambiente her schon eher ein Kreuzfahrtschiff als eine klassische Fähre! Da kann Rotterdam stolz sein, wie es will: Dieses Schiff kann da nicht mithalten. Obgleich nur ein paar Jahre älter, nur wenig kleiner und fast genauso lang und breit – der Charme der „Pride of Rotterdam“ ist im Vergleich eher der eines pragmatischen Schwimmkastens, um über die Nordsee zu kommen.

An Bord werfe ich das kleine Übernachtungsgepäck in die Kabine und gehe auf Entdeckungstour durch das Schiff. Ein wichtiger Tipp für alle Erstfahrer: Das Gepäck für die Nacht an Bord separat packen und dann oben auf den Rest im Auto legen: Sonst hat man das Vergnügen, in der stickigen Enge und geschäftigen Hektik des Schiffsbauches seinen ganzen Wageninhalt umzusortieren!

Für heute hat die Autofahrt ein Ende, und mit rund 300 km war das ein lockerer Einstieg in den Urlaub. Was heißt hier Urlaub? Immerhin schaffe ich es so, dass kein Urlaubstag in Schottland verloren geht. Der erste ganze Urlaubstag wird schon in Schottland enden!

Es ist noch nicht viel los auf dem Schiff und man hat sich schnell einen Überblick verschafft. Das Wetter ist mau und so verziehe ich mich erst einmal in die Kabine. Das Schiff ist als pragmatische Reiselösung konzipiert und so habe ich auch gebucht: Eine Zweibettkabine der unteren Kategorie. Dafür bekommt man zwei Klappbetten übereinander und genug Platz neben dem Bett, um stehen zu können. Zumindest für den Fall, dass der andere im Bett liegt oder sitzt – denn zwei Personen passen hier nicht aneinander vorbei. Die Kabine liegt schön mittig im Schiffsinneren im Achterbereich. Das ist zumindest weit genug von den Maschinen weg und im Fall von Seegang ist eine Kabine mittschiffs eher von Vorteil: So kippelt man nur hin und her, anstatt dass es ständig auf- und abgeht wie in einem Fahrstuhl! Dazu gibt es eine in raumfüllendes Plastik gefasste Nasszelle, Leselampen, eine Steckdose und eine abschließbare Tür. Fenster gibt es keine – dafür Luft aus einem Rohr. Mehr ist es nicht – aber seien wir ehrlich: Mehr braucht man eigentlich auch nicht. So verpasse ich in der Tat das Ablegemanöver in der Kabine und bemerke das erst, als der Lautsprecher die Sicherheitsliturgie quäkt.

Also raus aus der Kabine und an die frische Luft. Und passend zur Abreise klart der Himmel etwas auf und wirft ein bezauberndes Abendlicht auf die beeindruckend großen, aber wenig bezaubernden Bauten entlang des Rotterdamer Hafens. Der Hafen ist ein Moloch. Über fast 40 km ziehen sich die Hafenanlagen entlang des Lek und der Maas. Dabei erwirtschaftet der Hafen allein etwa 7 % des gesamten Bruttoinlandsproduktes der Niederlande! Das sind gewaltige Ausmaße. Auf dem Weg zum Terminal fährt man eine halbe Stunde lang nur an Hafenanlagen vorbei! Der Hafen ist so gigantisch groß, dass Hamburg dagegen recht übersichtlich wirkt. Aber Hübsch ist er halt nicht. Mein Blick überstreift zwar gleich mehrere Leuchttürme, aber selbst die sind modern und nicht sehr  ansehnlich – ein einziges, klassisches Exemplar ist weit hinten auszumachen.

Photos sind an diesem, ersten Tag kein Thema. Ich habe gerade mal eine Hand voll Bilder gemacht, alle von eher dokumentarischem Wert. Aber das ist nicht schlimm – denn zum einen ist es noch gar kein ganzer Reisetag, zum anderen ist nur wichtig, dass ich unterwegs bin. Es geht ja gerade erst los – und ich freue mich drauf!

Bei ruhiger See und wenig Wind fahren wir also hinaus auf den Ärmelkanal in Richtung Schottland, in der kurz darauf die Sonne im Meer versinkt. Das fängt ja eigentlich ganz gut an!

Auf nach Schottland!

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